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Züchterwissen

(Auszug aus meinem aktuellen Buchprojekt)

 

4. Grundsätze zur Zucht (Genetik vs.  Umwelt)

Die Wissenschaft hat herausgefunden, was Menschen mit Herzensbildung schon lange wissen: der Wille kann Berge versetzen! 

Auf dieser Erkenntnis beruhend, ist inzwischen eine riesiges Business entstanden, zumeist mit Online-Angeboten. Coaching gibt es jetzt für alles und jeden. 

Seriös angewandt ist das Fördern der Motivation zum Erreichen von Zielen absolut sinnvoll. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern ermöglicht das optimale Ausschöpfen des genetisch verankerten Potentials.

Was hat das jetzt mit dem Alltag eines Pferdezüchters zu tun? Die Antwort ist simpel: ALLES.

Wir legen die nur die richtige Basis für ein erfolgreiches Sportpferd. Danach kann der Rohdiamant zerbersten oder funkelnd strahlen.

Nicht nur die Genetik macht das erfolgreiche Sportpferd, sondern in erheblichem Maße steuern die äußeren Einflüsse die Möglichkeit, die genetische Basis zur Entfaltung zu bringen oder ungenutzt zu lassen, schlimmstenfalls sogar durch falsche Haltungs- oder Trainingsbedingungen zu zerstören.

Der typische Pferdezüchter träumt davon, eines Tages den Superkracher zu züchten: Olympiasieger oder so, mindestens aber auf höchstem Niveau im Sport erfolgreich dabei, auf jeden Fall internationale Siege und Platzierungen.

Inzwischen ist die hauptsächlich europäische geprägte Sportpferdepopulation schon an der Basis so nah am High-End-Zuchtziel, daß ab jetzt nur wichtig ist, das Niveau zu halten. 

Höher Springen und raumgreifenderes Gangwerk ist in meinen Augen nicht möglich und nicht sinnvoll. Edle und blütige Pferde sind bereits heute oft schon ohne direktes Vollblut in den ersten drei bis vier Generationen entstanden.

Der vielgepriesene Zuchtfortschritt ist meiner Meinung bereits erreicht! 

Nun sollte dringend die sogenannte Konsolidierungsphase erfolgen, indem wieder vermehrt bewährte und im Exterieur stabilere Vererber eingesetzt werden sollten. Das heißt: nicht mehr ausschließlich diesen unglücklichen Hype der letzten Jahre weiterverfolgen und fast nur frisch gekörte Junghengste einsetzen, die als Extremstrampler auf den Körungen und Hengstshows vom Publikum beklatscht werden.

Der Fokus sollte statt dessen gern vermehrt wieder auf langjährig im Sport bewährte und harte Vererber gerichtet werden. Das darf dann auch gern mal ein etwas weniger moderner Typ sein. Die Stuten sind bereits edel und blütig genug, um das auszugleichen.

Beim Faktor Gesundheit ist eine Qualitätsverbesserung anzustreben und wieder mehr auf Härte und belastbare Strukturen im Körperbau zu achten.

Meinen Beobachtungen nach sieht es hier in der Springpferdezucht nicht ganz so dramatisch aus, wie in der Dressurpferdezucht. 

Durch die Selektion der Dressurpferde auf immer extremere Gangmechanik, leidet die „Haltbarkeit“ der Pferde. Der Pferderücken wird kürzer und der Bewegungsapparat wird anfälliger in der Belastung. Die Zucht bewegt sich in die falsche Richtung. Die Pferde werden immer feiner und leichter, völlig ohne Einkreuzung von Vollblütern. Anomalien im Wirbelbereich, sogar komplett fehlende Wirbel und Hypermobiltät sind neben weiteren Problemen die Folge. 

Auf diesen strampelnden Schönheiten wird künftig niemand mehr reiten können und nebenbei: wer kann dabei bequem im Sattel sitzen und lächeln?

Krankheit wird wissentlich herangezüchtet, weil diese zarten Strampler sich bereits im Fohlenalter zu gut verkaufen lassen. Solange diese Pferde verzückt beklatscht werden und die Käufer ihr Hirn ausschalten, geht es weiter bergab. Die Richter auf Zuchtschauen und Turnieren tun leider oft nichts Besseres oder sind nicht mutig genug, weise zu entscheiden.

Die Basis der Pferdezucht hat sich in den letzten 30 Jahren extrem in Richtung leistungsstarkes Sportpferd entwickelt. Jetzt müssen wir Züchter darauf achten, daß wir nicht mit dem Hintern einreißen, was wir vorn mühsam aufgebaut haben.

Mein persönliches Zuchtziel heißt deshalb: Gesundheit, Charakter und Leistungsbereitschaft auf der aktuellen genetischen Basis. Die jetzt vorhandene Population ist rittig, hat optimale Grundgangarten und/oder Springvermögen. Was wollen wir mehr?

Hier ist der Punkt an dem die Umweltbedingungen ins Spiel kommen.

Kann ich aus nahezu jedem Nachkommen dieser Basispopulation ein Spitzenpferd machen oder ist das nur mit Fohlen weniger bekannter zumeist verstorbener Hengste (wie zum Beispiel Chacco Blue, Cornet Obolensky, Totilas usw.) möglich?

Muß die Mutter selbst im Sport erfolgreich sein und sollte der Embryo gar per ICSI/ET hergestellt werden?

Diese Embryonen/Fohlen werden zu astronomischen Preisen auf Auktionen gehandelt und sind beim Verkauf zum Teil im Behälter mit flüssigem Stickstoff gelagert.

Oder sollte es gar ein Klon eines Spitzenpferdes sein?

Herkömmlich gezogene Fohlen sind inzwischen fast komplett aus dem Fokus der finanzstarken Käufer gerutscht. Dies gilt für die Springpferdezucht in stärkerem Maße, als für die Dressurpferdezucht. 

Der Kreislauf ist gesetzt: finanzstarke Käufer investieren ausschließlich in die Nachkommen weniger Hengste. Diese werden mit Hilfe hoher Investitionen in den Sport gebracht. Optimale Bedingungen ermöglichen entsprechend schnelle und bedeutende Erfolge mit Top-Reitern im Sport. Die Namen dieser wenigen Hengste tauchen somit in der Vererberstatistik gehäuft an der Spitze auf. Somit ist bewiesen, daß nur Nachkommen dieser speziellen Hengste Spitzennachkommen bringen. Dies treibt die Nachfrage nach dieser Genetik weiter voran. Die große Gefahr, die hier besteht, ist die extreme Konzentration auf wenige Linien. 

Die genetische Basis wird künstlich katastrophal reduziert. Das ist die ideale selbsterfüllende Prophezeiung. Ein Kreislauf, der im Moment den Züchtern dieser Pferde zwar viel Geld beschert, aber auf lange Sicht unverantwortlich ist.

Würden diese mit hohem finanziellen Aufwand hergestellten Fohlen, von Käufern mit durchschnittlichen bis schlechten finanziellen Möglichkeiten erworben und gefördert werden, stünden die Chancen für eine Bilderbuchkarriere im Sport deutlich schlechter bzw. sind unmöglich. Die Pferde würden zumeist unbedeutend bleiben. 

Häufig kommt dazu, daß diese Pferde wegen ihrer zum Teil höheren Intelligenz und Sensibilität, schnell als „schwierig“ gelten oder als „Verbrecher“ abgestempelt werden, weil sie im normalen Alltag vom Durchschnittsreiter/Trainer/Grobmotoriker nicht in deren Trainingsschablone hineinpassen. 

Genetik ist nicht alles. Genetik ist nur ein Faktor von unendlich vielen auf dem Weg zum Erfolg. 

Wir können geniale Fohlen züchten, aber wenn sie später nicht perfekt ausgebildet und im Sport vorgestellt werden und und und, dann bleiben es „nur“ exzellente Freizeitpferde oder sie fallen komplett durchs Sieb, weil sie als Freizeitpferd zu sensibel sind.

Ich möchte hier nicht mißverstanden werden. Ich werte den Begriff Freizeitpferd nicht ab. Diese Pferde müßten am Markt eigentlich die höchsten Preise erzielen, weil sie absolut alles können müssen. Sie sollen bombensicher und schußfest sein, Fehler verzeihen, hellseherische Fähigkeiten haben, um unkonkrete Hilfengebung zu deuten, sitzbequem usw. 

Leider werden diese Pferde oft nur für Mikropreise am Markt gehandelt.

Um zum Kern zurückzukommen: rein rechnerisch müßten diese teuer hergestellten ICSI/ET-Fohlen (sowie die Klone) alle spätere Olympiasieger sein, wenn nicht unzählige zusätzliche Faktoren Einfluß auf das einzelne Lebewesen hätten. Bereits die Trägerstute hat einen enormen (auch genetischen!) Einfluß auf den Embryo. Über die Versorgung im Mutterleib bis über die "Erziehung" und Prägung in der Fohlenzeit darf man diesen Einfluß nicht  vernachlässigen, wenn man alle Faktoren benennen will.

Die finanzstarken Investoren, die diese Fohlen kaufen, haben alle Möglichkeiten, die äußeren Bedingungen zu optimieren. Sie können genügend Geld investieren, um für bestmögliche Aufzucht und fachgerechte professionelle Ausbildung und Vorstellung im Sport zu sorgen. 

„Ein guter Reiter, springt mit einer untrainierten Kuh über 1,40 m.“ sagte schon unser guter „Doki“ (Dr. Dr. Johannes Erich Flade) während des Studiums in Zierow.

Allein die Qualität des Reiters kann die Chancen auf Erfolg um etliche Prozente steigern. 

Mit Sicherheit wollen diese Investoren eine erstklassige Rendite erzielen. Das treibt den Druck auf die Dienstleister, die den entsprechenden Service erbringen, enorm in die Höhe. Das muß man als Trainer und Reiter aushalten können und wollen. Nicht immer ist das im Sinne des Pferdes.

Wir wissen alle, was Beritt mit Turniervorstellung kostet. Das kann ein „normaler“ Züchter oder Fohlenkäufer unmöglich aufbringen. Dazu kommt, wer bietet diesen Service überhaupt an und vor allem: wer macht hier einen guten Job?

Aus meiner Sicht, kann ein Nachkomme aus hochpreisiger ICSI-Produktion ebenso wie ein Fohlen von „herkömmlich“ auf Leistung selektierten Zuchttieren zum Spitzensportler geformt werden. Wichtig ist es ebenfalls, daß die genetische Variationsbreite nicht durch diese eingeschränkte Hengstwahl zu eng wird. Die Gefahr das Hengstlinien aussterben ist groß, wenn nur Fohlen von wenigen Hengsten im Fokus der Käufer stehen.

Die äußeren Bedingungen müssen für jedes Pferd optimal sein. In diesem Bereich liegt das eigentliche Problem, wenn der spätere Erfolg ausbleibt. 

Neben der sinnvollen Auswahl und Verpaarung der Zuchttiere, ist es die Verantwortung des Züchters, für eine solide Basis in der Zeit der Trächtigkeit und Aufzucht des Fohlens zu sorgen.

Meine Erfahrung zeigt, weniger ist hier oft mehr. 

Die Futtermittelindustrie entwickelt immer mehr Sorten und Spezialitäten für jede Eventualität des Pferdelebens. Das Ende vom Lied sind häufig Stellungsfehler bei den Fohlen bzw. später schlechte Röntgenbilder, die unwissentlich schon im Mutterleib angefüttert wurden. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung.

Im Sommer 24-Stunden auf großen Weiden – keine Box für die Nacht! Komplett draußen, das genügt. Die Weide sollte entsprechend vernünftig eingezäunt sein. 

Hier ist künftig leider die Begeisterung unserer Obrigkeit für Wölfe der begrenzende Faktor. Diese beste Art der Pferdehaltung ist leider nicht mehr möglich, wenn man sich an höherer Stelle nicht endlich für logisches Denken entscheidet! 

Wolfssichere Zäune gibt es eben nur in Tier- und Wildparks, alle anderen Behauptungen sind Unsinn. Die „Mauer“ wäre vermutlich ein guter wolfssicherer Zaun, aber wer will die zurück und wer kann das bezahlen? Mein Vorschlag wäre, die Verantwortlichen mal mit ihren kleinen Kindern zum Wochenendcamping im Wolfsgebiet inmitten einer „wolfssicher eingezäunten Schafsherde einzuladen. Vielleicht läßt sich ja dann das Hirn dieser Leute reaktivieren, falls es jemals vorher funktioniert hat. Tierschutz sieht in meinen Augen jedenfalls anders aus! 

Im Winter genügt reichlich gutes Heu oder Heulage und dazu Minerallecksteine und Zugang zum Offenstall. 

Das spart nicht nur Futter, sondern zusätzlich Schmiede- und Tierarztkosten. Bei Einzeltieren kann bei echtem Bedarf etwas Kraftfutter (gern gequetschter Hafer) zugefüttert werden. 

Zurück zu den Wurzeln. Man muß sich darauf besinnen, daß ein Pferd ein Weidetier ist: Gras/Rauhfutter ist das Grundnahrungsmittel, sonst nichts. Voraussetzung ist natürlich eine gute Futterbasis auf gutem Boden. Nicht umsonst gibt es Regionen, die schon über Jahrhunderte für ihre Pferdezucht bekannt sind.

Ein stabiler Herdenverband ist in Bezug auf Sozialverhalten und Charakterbildung mehr Wert als ständiges Herumtüdeln mit Fohlen-ABC oder Training nach Guru XYZ. Man nervt das Fohlen/Jungpferd nur unnötig und es lernt schlimmstenfalls nur die mentalen Schwächen seines Besitzers auszutesten. Es kann die spätere Arbeit in der eigentlichen Jungpferdeausbildung deutlich erschweren, wenn das pfiffige Fohlen unangenehme Tricks gelernt hat.

Man kann einige grundlegende Handgriffe hin und wieder üben, Halfter, Putzen, Hufe geben, anbinden. Aber das lernt sich nebenbei und im Laufe der Zeit. Wichtig ist, wie das gemacht wird, damit das Fohlen/Jungpferd nicht verschreckt wird.

Letztlich muß jede Bezugsperson ein absolutes Vertrauensverhältnis zum Pferd aufbauen. Die optimalen Lebens- und Trainingsbedingungen müssen dauerhaft vorhanden sein. Die menschlichen Umgangsformen müssen pferdegerecht sein. Das ist die Basis für die optimale Ausschöpfung des mentalen Potentials des Pferdes. Es gibt genug Beispiele, in denen ein Pferd, entgegen aller Vorhersagen, einen großen Erfolg errang, weil es alles für seinen Menschen getan hat. Die Basis wird beim Züchter gelegt.

Es besteht inzwischen ein wachsender Bedarf für Pensionsbetriebe, die sich auf Zuchtstuten und Aufzucht, gern mit Hengstaufzucht und Besamungsservice, spezialisiert haben. Immer mehr Pferdehalter möchten mit ihrer Stute züchten. Sie haben meist wenig Fachkenntnisse und vor allem kaum Möglichkeiten, selbst für optimale Haltung von Zuchtstute und Fohlen zu sorgen.

In meinen Augen ist es außerdem ohnehin für Stute und Fohlen besser, wenn sie in einem festen Herdenverband unter besten Bedingungen und fachlich versierter Betreuung auf großen Weideflächen leben können. Einzelhaltung von Zuchtstuten und Fohlen sowie die Haltung in den üblichen Pensionsställen ist in meinen Augen nicht zu empfehlen. Niemand wird so den Pferden gerecht.

Es gibt hier oft das Problem, daß dem Stutenhalter erst kurz vor dem Abfohlen einfällt, es wäre doch schön, wenn man die Geburtsüberwachung in fachlich kompetente Hände gibt. 

Welcher Zuchtbetrieb möchte aber eine fremde hochtragende Stute in einen bestehenden Herdenverband eingliedern? 

Es dauert oft Wochen bis Monate bis sich eine neue Rangordnung gefestigt hat. Sinnvoll ist es hier, die Zuchtstute bereits mit dem Zeitpunkt der Besamung in einen entsprechenden Zuchtbetrieb einzustellen. Verletzungen möchten weder Pferdebesitzer noch Betriebsleiter riskieren. 

Hier kommt wieder der begrenzende Kostenfaktor ins Spiel. 

Das kann und will der kleine Züchter häufig nicht investieren. Schnell wird das geplante Fohlen zu teuer. Diese Kosten werden beim Verkauf des Fohlens kaum wieder ausgeglichen. Voraussetzung ist ohnehin, das das Fohlen überhaupt lebend geboren wird und bis zum Verkauf oder Nutzung gesund bleibt. Jedes Pferd hat 365 Tage im Jahr Zeit, sich etwas anzutun oder zu sterben. Darüber muß sich jeder Pferdehalter und Züchter klar sein. Es gibt wirklich Pferde, die sind potentielle Selbstmörder!

Das sind alles Fragen, die sich jeder Züchter stellen muß, bevor er die Stute besamen läßt. 

Was will ich? Welchen Qualitätsanspruch habe ich an mein Zuchtprodukt?

Was kann ich selbst bzw. welche Dienstleistungen muß ich in Anspruch nehmen?

Kann ich mir das überhaupt finanziell leisten? 

Ertrage ich es mental, wenn Rückschläge auftreten?

(wird fortgesetzt)